Verleugnung
- Asja
- 23. Nov. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Nov. 2023
Anfang November 2022 wachte ich am Morgen auf der Couch auf. Ich war mal wieder Abends vor dem laufenden Fernseher dort eingeschlafen. Dann und wann passierte mir das. Als ich aufstehen und zur Toilette gehen wollte, versagte mein rechtes Bein seinen Dienst und weil ich nicht damit gerechnet hatte, wäre ich fast lang hingeschlagen.
Es fühlte sich an, als sei das ganze Bein aus Gummi und man habe mir über Nacht das Kniegelenk entfernt. Mühsam kämpfte ich mich zur Toilette und überdachte unterwegs meinen Zustand. Schnell kam ich zum Schluss, dass ich mich wohl heute Nacht auf der Couch verlegen haben musste. Ich war sicher: sobald wieder das Gefühl in meine Bein zurückgekehrt war (also so in 10 Minuten), würde ich wieder ganz normal laufen können.
Später bemerkte ich Schwierigkeiten beim Tippen von WhatsApp-Nachrichten und auch das Schreiben von Hand wollte mir nicht recht gelingen. Irgendwas stimmte mit meiner rechten Hand nicht. Also stellte ich mich vor den Spiegel und grinste mich an. Alles völlig normal: beide Mundwinkel hoben sich gleichmäßig an und ich strahlte mit mir selbst um die Wette. Gott sei Dank, dachte ich, kein Schlaganfall!
Eine Woche später konnte ich schon wieder etwas besser schreiben, was nicht heißt, dass ich meine eigene Schrift lesen konnte, geschweige denn so lesen wollte. Das Gefühl im Bein blieb ähnlich dem zu Beginn. Ich hatte keine Schmerzen, nur wollte mein Bein mir eben nicht richtig gehorchen. Ich beruhigte mich damit, dass es bestimmt etwas am Rücken war und zog jeden Bandscheibenvorfall als Erklärung für meine Symptome vor.
So sucht ich erst nach einer weiteren Woche, natürlich sehr unspektakulär mit Termin (ich war doch kein Notfall!), meine Hausärztin auf. Diese wollte mich aus Sicherheitsgründen umgehend direkt aus der Praxis heraus ins Krankenhaus einweisen, um einen Schlaganfall auszuschließen, was ich vehement verneinte: "Heute geh ich da nicht mehr hin, erst morgen. Ich hab noch was zu tun."
Am nächsten Tag wartete ich mit meiner Einweisung in der Tasche vor der Notaufnahme, bis mich ein freundlicher indischer Arzt nach Stunden zur Untersuchung aufnahm. Natürlich hatte ich das kleine Krankenhaus-Necessaire nicht dabei, weil ich nicht auch nur eine Sekunde gedachte über Nacht zu bleiben.
Meine Symptome wurden abgeklärt, die Vitalwerte festgestellt und Blut abgenommen, bevor ich ins CT kam. Nach einer Weile, die mir die Möglichkeit gab, das bunte Treiben verunfallter Rentner, verängstigter Angina-pectoris-Patienten und einem alkoholisierten Obdachlosen mit offenem Bein zu beobachten, kam der freundliche, indische Arzt, um mir in seiner einzigartigen Natur, die wohl nur Indern zu eigen ist, das Ergebnis meiner CT-Untersuchung mitzuteilen: er strahlte mich mit breitem, zahnweißen Lächeln aus seinem dunklen Gesicht an, legte den Kopf leicht schräg und verkündete ähnlich dem, wie man einer Schwangeren das Geschlecht ihres Kindes mitteilt: "Frau Arendmeier, Sie hatten einen Schlaganfall."
Ich weiß nicht, wie ich mir einen Schlaganfall vorgestellt hatte. Offenbar gar nicht. Zumindest gab es keinen lauten Knall oder ein Blitz durchfuhr meinen Kopf. Es tat auch nicht weh oder mir wurde schwarz vor Augen. Mir war noch nicht mal übel. Es war einfach nur von einem Moment auf den anderen alles anders. Mein gesamtes Körpergefühl war anders und nichts war mehr wie zuvor. Noch nicht mal ich, wie sich rausstellen sollte.
Um es dem medizinischen Laien mal einfach zu erklären: man unterscheidet zwischen dem hämorrhagischen und ischämischen Insult. Bei einem hämorrhagischen Insult blutet es ins Gehirn ein und kommt somit zu Schäden am Hirngewebe. Bei einem ischämischen Insult setzen sich Gefäße (ähnlich einer Rohrverstopfung) zu, was zu einer Sauerstoffunterversorgung und damit ebenfalls zu einer Schädigung von Hirngewebe führt. De facto haben beide Ereignisse ähnliche Auswirkungen auf die neurologisch gesteuerten Funktionen des menschlichen Körpers, was sich jedoch bei jedem Patienten sehr individuell äußert.
Sagen wir es so: nachdem mir der indische Arzt meine Diagnose mitgeteilt hatte, war selbst mir, der argumentativ ausgefeiltesten Leugnerin, schnell klar, dass ich länger im Krankenhaus bleiben musste. Man verbrachte mich also auf die Stroke Unit und ich wurde dort besser verkabelt als die gesamte deutsches Fernsehlandschaft, so dass das Piepsen des Überwachungsmonitor und 10-minütige automatischen Blutdruckmessung mein ständiger Begleiter wurden.
Nun lag ich also in meinem Krankenhausbett, starrte stumm wie ein Fisch an die Zimmerdecke und ergab mich meinem Schicksal. Madame Dicke Fresse war ordentlich schockiert. Damit hätte sie nie gerechnet.
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