Die Königin verlässt den Thron
- Asja
- 6. Dez. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Dez. 2023
Ich lag gestern Abend, nach Tagen erfüllt von Panikattacken, in meinem Bett und ließ die Angstfreiheit mit Freude meinen ganzen Körper fluten. Ich war so ruhig, so entspannt, so ganz ich - wie ich mich schon tagelang nicht gefühlt hatte.
Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf und ich schweiften ab in Richtung Vergangenheit. Erst sah ich mich als Kind mit meinem Vater. Ich spüre noch immer, wie sicher ich mich in seinen Armen und seinem Beisein fühlte. Dieter, gerne ein bisschen zu aggressiv, aber gleichermaßen der Fels in der Brandung, der jederzeit bereit war, sich auf diese stille Art für mich gegen die Flut zu stemmen. Mein Papa. Meine Mutter erzählt immer davon, dass sein Auge kurz zuckte, als sie ihm offenbarte, sie würde sich jederzeit für mich entscheiden, wenn sie zwischen seinem und meinem Leben wählen müsste und er antwortete: "Das hoffe ich."
Die Gedanken switchten weiter zu meinem ersten Sohn und der Geschichte, die ich damit verbinde. Daneben stand mein zweiter Sohn und lächelte seinen Bruder an. "Ihr seid gar keine richtigen Geschwister, ihr seid nur Halbbrüder.", sagte mal eine Nachbarin zu meinem Zweiten als er 4 Jahre alt war. Ich werde nie verstehen, warum fremde Menschen ihren Hirnscheiß so unbedacht über anderen ausschütten. Ich machte meinen beiden Söhnen gegenüber nie ein Geheimnis darüber, dass sie zwei unterschiedliche Väter hatten. Wie aus so vielen Dingen unser dreier Leben betreffend. Damals beruhigte ich ihn: "Das stimmt. Ihr habt zwei unterschiedliche Väter, aber ihn seid aus dem gleichen Bauch. Das macht euch zu richtigen Brüdern." Sehr zum Amüsement meines Sohnes fügte ich noch an, dass unsere Nachbarin eh dämlich sei und keine Ahung habe.
Ich zog zwei Kinder von zwei Vätern fast alleine groß und "erhielt" ihnen ihre Väter. Ich drücke es so aus, weil ich diejeinige war, die ein Riesen-Patchworkding aufzog. Nicht ohne das Zutun vieler anderer Menschen, das stimmt. Aber die Initiative ging von mir aus, weil ich mich nach meiner ersten Trennung fragte, wie ich mich gefühlt hätte, ohne meinen Vater aufzuwachsen. Ohne Dieter, den Mann, der gerne ein bisschen zu aggressiv, aber gleichermaßen der Fels in der Brandung war? Deswegen tat ich alles, um meinen Kindern ihren Vater zu erhalten. Ich engagierte und verrenkt mich und stampfte an manchen Stellen mein Ego ein. Aber egal, welchen Preis wir Erwachsene dafür auch zahlten, heute weiß ich, er war es wert.
Ich sehe das dritte Kind, das ich mir irgendwann im Laufe meines bunten Lebens "eintrat". Heimatlos, ungeliebt und schwierig. Ich sehe, wie ich mich ihm annäherte und irgendwann verzweifelt meine Mutter anrief: "Ich kann ihn nicht lieben! Ich hab mich doch in seinen Stiefvater verliebt, nicht in ihn. Was soll ich nur tun?" Meine Mutter sagte mir damals, ich müsse ihn nicht lieben, aber ich solle Respekt vor ihm haben.
Abends, wenn ich sie alle zusammen ins Bett brachte, wollte er, wie meine Kinder auch, auf den Mund geküsst werden. Es kam mir wie eine verlogene Geste vor, weil ich es nicht gerne tat, da er eben nicht mein Kind war. Also küsste ich ihn auf die Stirn und zitierte dabei frei Grillparzer: "Auf die Hände küßt die Achtung, Freundschaft auf die offene Stirn, auf die Wangen Wohlgefallen und die Liebe auf den Mund." Er verstand.
Er wollte mich Mama nennen. Ich lehnte ab und erklärte ihm, dass er den besten Freund in mir hätte, den er sich vorstellen könne. Heute ahne ich: ich gab ihm an manchen Tagen ein Zuhause, in dem er ab und zu auftanken konnte. Und ich "verliebte" mich in seine Seele.
Oft schaute ich auf mein Leben und sagte: ich habe ja nichts geleistet. Wenn Karriere im Beruf bedeutet, etwas geleistet zu haben, stimmt es - dann habe ich nichts geleistet. Aber in der letzten Nacht wurde mir klar, was ich in den letzten 30 Jahren alles für die Menschen um mich herum geleistet habe. Für Fremde, Freunde und Familie. Und wie gerne ich es tat.
Wie gerne ich Menschen gab und heil machte. Wie gern ich meine Liebe verteilte und jeden einzelnen sah, weil ich spürte, wie sehr wir uns alle danach sehnen, einen Stellenwert zu haben. Selbst denen, die mich verletzten, machte ich immer und immer wieder die Tür auf. So lange, bis ich leer war und nun auf die harte Tour lerne, was wirklich wichtig ist.
Mein erster Sohn sagte am Wochenende einen Satz zu mir, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Er sagte: "Als du letztes Jahr den ersten Schlaganfall bekamst, dachte ich: die Königin verlässt den Thron." Und fügte sofort liebevoll an: "Und kümmert sich ab sofort um sich selbst."
Mein kluges Kind, du.
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