Nachbarn - das unersetzliche Gut
- Asja
- 8. Feb. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Feb. 2024

Wenn du ein Haus kaufst, kaufst du die Nachbarn gleich mit, sagt ein englisches Sprichwort. Da gibt es diesen einen Nachbarn, der Autofahrer anschreit und sogar stoppt, um sie zur Rede zu stellen, wenn sie in der Dreißiger-Zone vor unseren Häusern zu schnell fahren. Er selbst allerdings knallt jedes Mal von seinem Hof, als wären wir Opfer einer Zombie-Apokalypse und er auf der Flucht vor einer Horde geifernden Untoter, die sein Heim stürmen. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der erst vom Hof rast, um im nächsten Moment mit gefühlten 80 km/h rückwärts wieder die Straße hoch- und auf den Punkt gezielt in seine Einfahrt hineinzuballern. (Ich vermute, er hat auf der Flucht etwas vergessen.)
Eins muss ich ihm lassen: Autofahren kann er! Jedes Mal, wenn ich sehe, wie geschickt es seinen Anhänger rückwärts in seine Einfahrt bugsiert (ein Akt den wir zu unserer Schande meist manuell vornehmen) und dies nur marginal langsamer als ohne, bin ich schwer beeindruckt. Ich gebe zu: ich harre jeden Tag einer perfekten Rockfort-Wende seinerseits (wahlweise mit oder ohne Anhänger) und kann den Geruch des verbrannten Gummis schon riechen.
Vor einiger Zeit hatten wir eine nette Begegnung miteinander. Ich stand mit meinem Hund im Vorgarten, als ich ein Auto schnell die Straße hochfahren hörte. Aus Angst um meinen Hund, der sich gerne mal schnell umentscheidet, wenn es um sein anvisiertes Ziel geht und Frust über die ständigen Ignoranz unserer Dreißiger-Zone, schrie ich impulsiv, wie ich nun manchmal bin: "Dreißig, du Arschloch!" Im selben Moment erkannte ich das Fahrzeug, das an mir vorbeiraste: es war mein Nachbar, der die Scheibe seines Wagens offen hatte. Also konnte er nicht nur mich, sondern auch ich seine Antwort hervorragend hören: "Halts Maul!" Brüllte es und schoss an mir vorbei in seine Einfahrt. Mein Mann stand mit offenem Mund hinter uns und meinte nur: "Na, herzlichen Glückwunsch!"
Ich habe aus Gründen der guten Nachbarschaft den Rempler mit ihm noch am selben Tag geklärt und wir lachten herzlich miteinander über uns. Sehr zur Freude und dem Amüsement meines Mannes. Im Nachhinein war das Ganze eine so lehrreiche Begegnung, die mich meinem Nachbarn von einer menschlichen Seite durchaus näher brachte.
Er ballert immer noch wie ein Gestörter seine Einfahrt rein und raus, die Straße hoch und runter, vorwärts wie rückwärts und ich bin froh, dass ich keine freilaufende Katze und kleinen Kinder mehr habe. Den Rest betrachte ich mit einer Mischung aus Staunen und Belustigung. Manchmal denke ich, dass der Unterhaltungswert unserer heimischen Straße für den stillen Beobachter kaum zu toppen ist - aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.
Nachbarn sind Raum- und Zeitgenossen, die uns immer wieder das Gefühl geben, eng mit ihnen verfreundet zu sein.
Ernst Ferstl (*1955), österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker
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