Was bedeutet Pflege?
- Asja
- 12. Apr. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Apr. 2024
Ich war mal wieder im Krankenhaus. Aber es soll an dieser Stelle nicht um meinen Gesundheitszustand gehen, sondern viel mehr um meine Beobachtungen im dortigen Umfeld, die mir persönlich den Aufenthalt von drei Tagen sehr schwer gemacht haben.
Ich kenne die stationsleitende Krankenschwester von vorherigen Aufenthalten auf der Station und wusste schon, was mich erwartete, als ich das mir zugewiesenes Zimmer bezog: patzige Antworten; verschränkte Arme und ein gelangweiltes Gesicht bei den Visiten; routniertes, aber distanziertes Verhalten und vor allem eine mir unfassliche Arroganz den Patienten gegenüber. Da ich es nicht ändern konnte, ergab ich mich also meines Schicksals und versuchte das Beste daraus zu machen, indem ich ihr Verhalten nicht persönlich nahm. Ich beschloss, einfach zu atmen...
Dass das Aufwecken im Krankenhaus alles andere als nett geschieht, wissen wir alle zur Genüge: das Deckenlicht wird angeballert und jemand flötet mehr oder minder unaufdringlich: "Guten Morgen!". Während man als Patient noch damit beschäftigt ist, wahlweise zu konsolidieren, wo man sich befindet oder ob noch alles dran ist, rammt einem eine kühle Hand ein Fieberthermometer ins Ohr und fragt mich (da ich in Besitz eines Zuckermess-Sensors bin): "Frau Arendmeier, was macht der Zucker?" Alter, ich bin noch mit dem Aufklappen meiner Augen beschäftigt!!
Neben mir im Zimmer lag eine alte Dame, so um die Mitte 80. "Frau Ofenbeck, guten Morgen! Hat sie gut geschlafen?" Ich war irritiert. Seit wann sprechen wir andere wieder in der dritten Person an? Hatten wir über Nacht ein Zeitreise ins frühe 18. Jahrhundert gemacht? Ich blinzelte verstört ins Licht, um herauszufinden, ob die Schwester Reifrock und Spitzenhäubchen trug. Nein, ich musste mich verhört haben. "Wie liegt sie denn da im Bett? Ganz krumm und schief." Ich schnaufte. Einfach ignorieren und atmen, Asja.
Später, als die Schwester das Frühstück wieder abräumte, bekam Frau Ofenbeck eine erneute Dusche der Unwürdigkeit: "Da hat sie aber fein aufgegessen." und "Jetzt machen wir sie mal frisch!"
Notiz an mich selbst: Höflichkeitsformen, die vor 300 Jahren angemessen waren, gereichen in der heutigen Zeit ausschließlich dazu, andere zu erniedrigen und sie zum Objekt zu degradieren. Was zur Hölle denken sich Menschen dabei?! Ich verstehe es nicht.
Da während des Dienste von Schwester Keifky (der Einfachheit halber nenne ich die Dame mal so) auf der Überwachungsstation ständig alle Tür offen zu stehen hatten, war ich gezwungen mitzuhören, dass der ältere Herr im Zimmer nebenan wegen eines Sturzes eingeliefert wurde. Der Zustand seiner Körperpflege, so teilte Schwester Keifky unumwunden all denen auf der Station mit, die nicht im Koma lagen, war offenbar nicht nach ihrem Geschmack: "Was haben Sie denn für einen Bart?", erscholl ihre durchdringende Stimme aus seinem Zimmer. "Haben Sie sich nicht rasiert? Warum rasieren Sie sich nicht? Und wie Sie riechen! Das geht gar nicht. Sie stinken! Wer kümmert sich denn um Ihre Füße? Wie sehen die denn aus? Das ist widerlich!", ratterte die weibliche Kalaschnikow los. Ich erstarrte in meinem Bett.
So sprach ich noch nicht mal mit meinem Hund und der wälzt sich echt gerne in toten Fröschen und Wildschwein-Kacke.
Er antwortete sehr schwach irgendwas, was ich nicht verstand, aber Schwester Keifky lief sich gerade erst warm: "Und wie sehen denn Ihre Haare aus! Die sind ganz ungepflegt und ungewaschen! Was haben Sie denn da in den Haaren? Das ist ja ekelhaft! So kann man doch nicht rumlaufen!" Nun wurde der Herr dann auch mal ungehalten. Das wiederum brachte Schwester Keifkys Fass erst recht zum Überlaufen und sie motzte ihn an: "Wie können Sie so mit mir sprechen, wo ich mir so viel Mühe gebe um Sie! Das ist undankbar! Jetzt arbeite ich so viele Jahre in diesem Beruf und muss mir sowas sagen lassen." Ja, Himmel! Wie konnte er nur?! Es wäre eindeutig angemessener gewesen, sie unterwürfig zu bitten, ihr vor Dankbarkeit die Pflegelatschen ablecken zu dürfen. Von unten!!!
Ich habe selbst in der Altenpflege gearbeitet, und weiß genau, welchen Stress Pflegekräfte oft haben, aber das Verhalten der Dame erschien mir doch ein klitze- klitze-kleines bisschen übergriffig. Mag aber auch an mir liegen: ich schaue sowieso eher putzig in diese Welt wie ich immer wieder in meinen Leben feststellen durfte.
Ich war jetzt seit November 2022 sechs Mal im Krankenhaus und sehe, dass es ganz viele Pflegekräfte gibt, die sich in einem System unheimlich Mühe geben, das es ihnen nicht leicht macht. Ich erlebe Ärzte konstant auf dem Sprung, mit dem Blick auf die Uhr. Sie unterbrechen dich, hören dir nicht zu und gerade die jungen Ärzte bewegen sich oft in einer Arroganz über die Stationen, dass ich es schon lachhaft finde. Vielleicht gehört das Ablegen eines Standesdünkel aber auch im Leben eines Arztes dazu. Ich weiß es nicht.
Vor etwa einem Jahr ging eine junge Frau mit ihrem Poetry Slam viral und viele Pflegekräfte fanden sich darin wieder. Leah Weigand, die auch mich damals unheimlich berührte, sagte dort an einer Stelle: "Ich lernte, wie man es in das Zimmer hineinruft, so schallt es auch meist heraus." Das an sich ist ein uralte Weisheit, die Menschen anscheinend immer wieder vergessen. Manchmal ist man gestresst, aber gibt einem das Recht, mit anderen Menschen respektlos umzugehen, egal wie gut man es meint?
Krankenhäuser sind für mich persönlich keine Ort, um gesund zu werden. Egal, wie viel Kliniken nach DIN ISO 9001 zertifiziert sind - ein wirklicher Garant für menschlichen, liebevollen und freundlichen Umgang ist das nicht.
Versteh mich nicht falsch: ich war immer im Krankenhaus, weil es nötig war und ich Hilfe brauchte. Ich bin immer freundlich zu den Ärzten und Schwestern. Ich halte mich an alle Regel des Hauses, egal wie dumm sie mir erscheinen, ich bin nicht die, die übers Essen motzt und ich nehme Rücksicht auf meine Mitpatienten. Ich sage, bitte und danke, aber meine Dankbarkeit gegenüber Schwester und Ärzten hält sich in Grenzen, denn in meinen Augen handelt sich bei ihrer Arbeit um ein Dienstleistung.
Dienstleistung ist eine Art wirtschaftlicher Güter, bei der eine Leistung erbracht wird, die nicht lagerfähig ist und bei der Herstellung und Verbrauch gleichzeitig stattfinden. Unterschieden werden personenbezogene Dienstleistungen (z. B. Arztbehandlung) und sachbezogene Dienstleistungen (z. B. Reparatur einer Tür).
Auch das ständige Geplärre von vielen Leuten, dass die Pflege besser würde, wenn nur die Pflegekräfte mehr Geld verdienten, halte ich für ausgemachten Bullshit. Ich gönne es jedem und wenn eine Pflegekraft 4000,- € Netto im Monat verdiente, freut sie das sicherlich auch, aber es wird weder die für Job geeigneterer Klientel anziehen, noch die Probleme des Gesundheitssystems lösen. Die Menschen, die für diesen Beruf wirklich geeignet sind, sind die mit Herz und auch diese freuen sich sicherlich über 4000,- Netto im Monat, aber das wird niemals der Grund sein, warum die Art Menschen diesen Beruf ergreifen. Auch wird kein Geld der Welt jemanden jemals zu Menschlichkeit, Freundlichkeit und Empathie motivieren.
Das, was den Pflegekräften von denen ich spreche, fehlt, ist ganz einfach Zeit. Zeit, sich mal ans Bett zu setzen und 10 Minuten zuzuhören. Das ist nämlich die wahre Motivation dieser Pflegekräfte. Und der Benefit nebenbei ist: Vielleicht erfährt man so mehr über die Lebensumstände eines alten Menschen und warum er so ungepflegt ist.
Mich frage ich ernsthaft: wie gehe ich zukünftig mit solchen Situationen um? Bin ich verpflichtet bei etwas, was mich derart bewegt (okay, sagen ich es so, wie ich es in realita ausdrücken würde: anpisst), einzuschreiten? Darüber muss ich nachdenken. Ich habe aus verschiedenen Gründen meine Klappe gehalten, schon allein, weil ich mich im Umgang mit giftspritzendes Drachen immer sehr schwer tue. Vielleicht hätte ich etwas sagen sollen, dann würde ich eine Woche danach nicht immer noch mit allen gängigen Fragen im Kopf darüber nachsinnen müssen.
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