Wort-Malerei
- Asja
- 28. Juni 2008
- 2 Min. Lesezeit
Ich sitze vor einem weißen Blatt Papier, das mich anstarrt, mich fordert, mich aber in seiner rücksichtsvollen schlichten Weißheit, nicht auffordert, sondern eher leise lächelnd auf die Entjungferung wartet. Die Katze sitzt vor dem Fenster auf der Fensterbank und heischt Teilnahmslosigkeit. Sie stellt die Ohren auseinander und das weiße Blatt lechzt nach Buchstaben.
Also kleckse ich mit dem Stift den Buckel, den die Katze macht, auf mein weißes Blatt Papier. Da steht er nun, wie ein riesiger, dunkler Berg. Kleine Buchstaben-Gnome versuchen ihn zu erklimmen und scheitern schon an der ersten Steigung. Zu rund, die kleinen Buchstabenfüße rutschen ab.
Ein weißes Blatt mit einem schwarzen Katzenbuckel-Berg will gefüllt werden, ich kann es hören. Da, wo vorher Stille war, ertönt jetzt ein Laut. Meine Finger rollen den Stift in der Hand, sie scheinen wie Rennpferde, die unruhig in der Box auf den Start warten. Noch sind sie ein bisschen steif. Die Katze stellt die Ohren auseinander und sieht mich direkt an. „Los, schreib doch! Ich hab dir schon einen Buckel für dein Blatt geschenkt!“, sagte sie. Sie grinst. Ich auch.
Also lasse ich den Stift, der sich eines wilden Rennpferds gleich ins Brustgeschirr wirft, endlich frei und sehe, wie er losgaloppieren, um endlich ein Bild zu malen. Er schwingt sich auf in den Himmel über dem Katzenbuckelberg und schafft dort blaustichige Verschlierungen, gepaart mit wolleweißen Wolken. Die Sonne strahlt frühlingshaft vom Himmel und wärmt den Rücken des Katzenbuckelberges. Mutig kleckst der Stift kleine schwarze Vögel an den Himmel, die in wilden Schwärmen zwischen den Wolken schwarze, fließende Flugmanöver ziehen und mit leichtem Flügelschlag Symbole an den Himmel malen.
Im nächsten Moment schwingt sich der Stift hinab zum Fuße des Katzenbuckelberges und kleistert dort dickes Grün, während sich die Katze auf dem Fensterbrett beginnt zu putzen. Saftige grüne Kleisterfäden ziehen sich rund um den Fuß des Katzenbuckelberges, mal heller, mal dunkler. Und während die Katze auf der Fensterbank sitzend gähnt, zwirbelt der kleine flinke Rennpferd-Sift moosgrüne Flächen in das Kleistergras. Aufgeregt laufen die kleinen Buchstaben-Gnome durch das wilde Wirrwarr aus grünem Blätterwerk und Geäst. Ich kann sie kichern hören, während sich die Katze auf der Fensterbank diesmal ihre weißen Füßchen putzt.
Ich weiß, was sie will. Sie sitzt dort nicht ohne Grund. Sie will ins Haus, will mit ihren weichen, rosa Tatzen über mein buntes Blatt schlenzen und alles durcheinander wirbeln. Sie will ihren dicken, weißhaarigen Bauch auf meinem Schreibtisch niederlegen und gestreichelt werden. Ich verabschiede mich von meinem bunten Buchstaben-Papier, lege meine Rennpferde in den Zaum und meine Gedanken gleich dazu.
Als ich aufstehe, springt die Katze draußen von der Fensterbank und ich weiß, sie wird vor der Haustür stehen, wenn ich sie gleich öffne.
© 2008
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