Über die Ahnen
- Asja
- 10. Nov. 2023
- 3 Min. Lesezeit
An einem Morgen, die Wärme der aufsteigende Sonne lässt den Tau auf der Wiese verdunsten und sorgt damit für dampfende Schwaden rund um das Lager, tritt eine der Gefährtinnen zur Kriegern ans Feuer. Sie setzt sich in dem gebotenen Abstand, wie es sich gehört, wenn man einander noch nicht lange kennt, neben sie und fragt nach ihrem Befinden. So kommen die beiden Frauen ins Gespräch.
Irgendwann während des Gesprächs sagt die Kriegerin gedankenlos lachend dahin: „Mit mir ist es schwer aushaltbar.“ Die Gefährtin zuckt zusammen, als sei sie geschlagen worden und fragt: „Wie sprichst du denn über dich selbst? Warum redest du so schlecht über dich?“ Die Kriegerin wiegelt ab, wie es ihre Art ist, wenn es um sie geht: „Ach, das meine ich ja gar nicht so.“ „Dann sag es auch nicht“, hebt ihre Gefährtin die Rede an und fährt fort: „Ich habe früher genau so über mich selbst gesprochen und auch ich musste lernen, dass das falsch ist. Du bist eine wunderbare Frau, voller Kraft und Liebe, mit einem großartigen Humor und voller Integrität. Aushalten muss man es in der Sonne, wenn man keine Möglichkeit hat, in den Schatten zu kommen, aber mit dir muss man es nicht aushalten. Mit dir ist man gerne zusammen, ist gerne deine Gefährtin.“
Diese Worte prasseln auf die ausgedörrte Seele der Kriegerin hernieder wie ein warmer Sommerregen und sie weiß, dass ihr diese Botschaft ihr von VaterMutter geschickt wurde. „Du bist so hart zu dir selbst, wie zu niemand anderem. Niemals würdest du mit jemand anderem so umgehen.“, sagt die Gefährtin zu ihr. „Warum tust du das?“ Berührt von den heftigen Worten der Gefährtin hält die Kriegerin inne. Warum tue ich das, fragt sie sich und spürt Erinnerungen vergangener Tage nach.
Ihr Vater war ein großer Krieger und erfolgreicher Kämpfer. Sie erinnert sich gut an ihn. In jungen Jahren rahmte tiefschwarzes Haar sein rundliches Gesicht ein und ein Bart zierte sein Kinn. Als er älter wurde, veränderte sich die Farbe langsam, indem das einst schwarze Haar von immer mehr weißen durchwoben wurden. Seine tiefbraunen Augen konnten sowohl Wärme und Güte, als auch eisige Härte und einen leidenschaftlichen Zorn ausstrahlen. Die Kriegerin entsinnt sich, dass er durch diesen unglaublich vernichtenden Zorn getrieben war und dieser ihn seinen Feinden gegenüber stets unerbittlich machte. Seine Tochter liebte er in tiefster, aufrichtiger Weise, was er aber nur zeigte, indem ihr gegenüber oft nicht minder hart war. Er begann, sie früh für den Kampf zu trainieren und oft schüttelte ihre Mutter den Kopf, widersprach aber nur selten, und wenn, dann sehr leise. Aber alles, was er wollte, war sie zu beschützen, indem er sie so hart machte, wie er selbst war. Weinen war nicht gestattet, selbst dann nicht, wenn er sie bei den Trainingseinheiten verletzte. Ihre Mutter mühte sich um Ausgleich und beschützte sie auf ihre Weise, indem sie sich oft zu ihrer Verbündeten machte. Ihr Vater starb vor einigen Jahren im Kampf um seine Vision des Lebens auf dem Schlachtfeld. Aufrecht, wissend und konsequent. Genau so, wie er gelebt hatte.
An dem Tag, der der letzte seines Lebens sein sollte, folgte die Kriegerin einem alten Ritual. Sie legte sich flach auf den Bauch, mit dem Gesicht zu Boden, die Handflächen offen nach gedreht und sprach die Worte des Empfangens: „Vater, ich nehme es von dir, zu dem Preis, den es dich gekostet hat und den es mich kostet. Ich mache etwas daraus, dir zur Freude. Es soll nicht umsonst gewesen sein. Ich halte es fest und in Ehren, und wenn ich darf, gebe ich es weiter, so wie du.“ Ein paar Stunden nach diesem Ritual erhielt sie die Kunde seines Ablebens und war froh es noch so kurz vor seinem Tod vollzogen zu haben. So fühlte sie sich mit seinem Sterben ruhig und überein.
Über all diese Erinnerungen nachsinnend, spürt die Kriegerin die Liebe ihrer Ahnen. Sie sind ewiglich bei ihr, in ihr vereint und prägen sie zutiefst. Plötzlich versteht sie, was die Weisen meinen, wenn sie zu ihr sagen: nimm deinen Zorn an und integriere ihn in dich. Er gehört zu einem, wie die Liebe, das Licht und das Sehen. „Ja, Vater,“ sagt sie mit dem Blick weit bis an den Horizont in die noch morgenkühle Landschaft, „Ich verstehe.“
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